Der Kanzleigründer

Diese Kanzlei nimmt es persönlich. Die Mandanten nehmen es persönlich. In der jungen Kanzlei zählt die indivuelle Mandantenbetreuung mehr als eine getunte Außendarstellung. Ein eigenwilliger Weg, aber das Konzept geht auf.

Auf einmal ging alles sehr schnell. Gewissermaßen eine Ad-hoc-Gründung. Geeignete Kanzleiräumlichkeiten und Büromobiliar mussten her, Telefon- und Internetanschluss mussten beantragt werden, an sämtliche Einträge gedacht werden … . Eben alles, was zu einer Kanzleigründung gehört, nur im Zeitraffer.

Bei unserem Auszug aus einer großen Kanzlei schleppten wir gemeinsam Ordner und Akten, einige private Möbel und eine geliehene Bürogrundausstattung – so starteten wir. Die Telefonnummer wurde gerade noch 24 Stunden vor unserer Eröffnung freigegeben. Alle zitterten mit, denn jedem war klar, um was es ging. Die Klientel, die uns ihr Vertrauen aussprach, durfte jetzt nicht enttäuscht werden. Unser aller Zukunft hing davon ab. Das waren die Wochen, die uns prägten, zusammenschweißten und letztlich der heutigen Kanzlei ihr ganz eigenes Profil gaben – ein uneingeschränktes Wir-Gefühl, gleich, ob Azubi, Sekretärin, Fachwirt oder Berater. Entscheidend ist die individuelle Kompetenz des Einzelnen und wie er sie in die Kanzlei einbringt.

Neben dem Tagesgeschäft kümmerten wir uns zunächst um die Neuausrichtung. Werkzeuge wie DMS, ProCheck und EO comfort will man heute nicht mehr missen. Aber es braucht wesentlich mehr. Wir bildeten unsere Prozesse und Metaprozesse gemeinsam neu und befassten uns mit unserer Vision. Wie wollen wir eigentlich künftig zusammen arbeiten? Was ist dabei jedem Einzelnen wichtig? Welche Kommunikationskultur, auch im Umgang mit Fehlern, wollen wir leben? Wo wollen wir in zehn Jahren stehen?

Unseren Leitgedanken, in möglichst flachen Hierarchien, kundenorientiert und an der Leistungskraft des einzelnen Mitarbeiters ausgerichtet zu agieren, setzten wir mithilfe eines externen Moderators in die Tat um. Im Kick-off stellte sich schnell heraus, welch unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallten. Die Team-Workshops dienten in erster Linie dazu, sich zu öffnen, aber gleichzeitig Grenzen aufzuzeigen: Wie weit kann ich gehen und kann ich mich wirklich auf dich verlassen, wenn die Kanzlei dich braucht?

Eine große Umstellung war der anfängliche Umgang mit der neu gewonnenen Freiheit, keine festen Arbeitszeiten mehr zu haben. Wir waren und sind zuversichtlich und vertrauen darauf, dass die Aufträge trotzdem fristgemäß und in hoher Qualität bearbeitet werden. Mobile Geräte und Heimarbeitsplätze sorgen für die entsprechende Infrastruktur und helfen bei der Mitarbeiterplanung, Spitzen zunächst zu erkennen und dann kunden- und mitarbeitergerecht zu vermeiden. Dennoch kostete es einiges an Energie – und an dieser Stelle Chapeau vor den Mitarbeitern –, sich der Herausforderung zu stellen, den Arbeitstag und die anstehenden Aufgaben komplett selbst zu organisieren, fern jeder Stoppuhr oder Leitplanke.

Eigeninitiative ist die beste Motivation

Eigenverantwortlich Prozesse und Strukturen ausgerichtet an den Interessen der Kundschaft zeit- und ortsungebunden zu erarbeiten, ohne zu erklären, wann man sich wo aufhält, war zunächst ungewohnt und in der Tat auch für alle ein kleines Wagnis. Um so zu leben und zu arbeiten, bedarf es einer ausgeprägten Feedback-Kultur und eines permanenten Austausches untereinander. Es war spannend zu beobachten, wie sich diese Kultur wie von selbst formte, schließlich wollte jeder die Vorzüge dieser Arbeitsweise genießen. Parallel steigerte sich – auch fast wie von selbst – die Qualität des Umgangs mit unseren Kunden, denn von der Feedback-Kultur, die unsere Mitarbeiter untereinander erarbeiteten, profitierten auch sie. Der Mitarbeiter verstand plötzlich den von ihm betreuten Kunden besser, der ja auch mal hier und mal da arbeitete, aber stets informiert sein wollte. Sehr individuelle – auf den Kunden zugeschnittene – Modelle der Zusammenarbeit ergaben sich. Die rasche Umsetzung konkreter Bedürfnisse der Kundschaft sind jedem Mitarbeiter in Fleisch und Blut übergegangen.

Der Kunde prägt die Marke

Eine klare Ausrichtung auf eine überschaubare Anzahl ganz bestimmter Geschäftsfelder, eine von innen gelebte, selbst erfahrene und erarbeitete Arbeitskultur der Mitarbeiter in einem hierarchisch flachen, zeitlosen und freien Umfeld an den Kundenerwartungen ausgerichtet – so muss man wohl unser Marketing beschreiben. Und wir haben bis heute keine einzige Zeitungsannonce geschaltet. Kanzleimarketing ist etwas Lebendiges, durch Menschen Transportiertes. Ein Selbstverständnis, das unausgesprochen ausstrahlt, wahrgenommen wird und sich überträgt auf die Menschen, zu denen es passt. Kanzleimarketing ist für uns eher ein Gefühl als eine Strategie. Das sagen uns auch unsere Kunden. Der Kunde prägt die Marke.

Marke ist, wenn der Mitarbeiter für seine Kanzlei brennt

Bei allem Vertrauen müssen natürlich die Zahlen passen. Wir konnten den Beweis antreten, dass es nur zweier Zahlen bedarf: dem Deckungsbeitrag, bezogen auf den Mitarbeiter, und dem Deckungsbeitrag im Kundenauftrag. Der einzelne Auftrag muss sich rechnen, nachverfolgbar und für den Kunden transparent sein. Auch das ist Kultur und Marketing, wenn auch intern. Beide Zahlen liegen offen, wie auch die betriebswirtschaftliche Auswertung des Hauses. Wer mitstreitet und kämpft, muss auch um die Früchte und deren Verteilung wissen. Dank und Ansporn zugleich, Fingerzeig und neue Zielsetzungen ergeben sich aus dieser transparenten, monatlichen Nachbetrachtung, wie wir sie mittlerweile leben. Wer freut sich nicht, wenn der Mitarbeiter sagt: „Herr Eckstädt, diesen Monat packen wir unseren Planumsatz.“ Marke ist, wenn der Mitarbeiter für sein Unternehmen brennt und im Idealfall um der Arbeit selbst willen sein Tagwerk antritt.

Ein Erstgespräch mit Bewerbern, seien es Azubis oder Angestellte, führen Bestandsmitarbeiter und erst danach die Kanzleileitung. Der neue Mitarbeiter muss vor allem ins Team passen und nicht in erster Linie der Kanzleileitung gefallen. Fachliche Kompetenz ist käuflich, emotionale Intelligenz nur schwer formbar. Um Teamstrukturen zu leben, bedarf es sozialer Kompetenz. Was will ich? Mitarbeiter, die zu meinen Kunden passen. Marke ist auch, wenn der Kunde mit dem Mitarbeiter essen geht und nicht mit der Kanzleileitung.

Marketing ist so wenig und doch so viel. Das Einfache, das so schwer umzusetzen ist. Geduld und Demut, sich selbst oft zurückzunehmen und viel zuzuhören, sind Schlüsselkompetenzen. Marketing ist das Gefühl, dass eine Organisation von innen gelebt wird, dieses Verständnis nach außen trägt und andere in ihren Bann zieht. Marketing ist Selbstverständnis von kollektiver Höchstleistung in Zeiten stetigen und immer schnelleren Wandels. Ein gutes Marketing genießt Marktmacht. Marke ist Mensch und nicht in erster Linie Visitenkarte, Website oder Zeitungsannonce.

Quelle:
DATEV magazin 4_2013
Autor: Jörg Eckstädt